Hypertext Berlin
 

Vorwort
 

Stephan Porombka
Hilmar Schmundt
Thomas Wegmann

I

Der amerikanische Hypertext-Autor Michael Joyce hatte es auf der Softmoderne 1997 prägnant formuliert:

"Wer die gegenwärtige Verfassung der Stadt Berlin verstehen will, der muß Hypertexte lesen." Und andersherum: "Wer Hypertexte verstehen will, der muß sich flanierend durch Berlin bewegen."

Stadt und Hypertext - diese metaphorische Verknüpfung entfaltet ihre Kraft, seit Marshall McLuhan vor gut vierzig Jahren die von Medien eroberte Welt als "Global Village" bezeichnet hat. Für die 90er Jahre hat der Medientheoretiker Florian Rötzer den Begriff "Telepolis" geprägt, um damit den hyperdimensionalen Raum der Datennetze zu kennzeichnen. Zugleich sah er die virtuellen mit den realen Städten derart zusammenwachsen, daß beide zu einem völlig neuartigen Stadtraum emergieren.

Für den flanierenden Leser und den lesenden Flaneur entstehen dabei Topographien, die nicht mehr linear und nicht mehr in drei Dimensionen zu verstehen sind:

Der Stadtplan, der die Straßen und Häuser verzeichnet, wird vom Plan der U-Bahn, der Kanalisation und der technischen Kommunikationskanäle überlagert. Zugleich verdoppelt und verdreifacht er sich durch die phantastische Präsenz vergangener und zukünftiger Stadträume und durch die imaginären Pläne, durch die Mental Maps, die jeder Besucher im eigenen Kopf mit sich herumträgt und mit denen die persönlichen Erinnerungs- und Entdeckungswege archiviert werden. Schließlich sind hier die verschiedensten Bilder und Schriften der Stadt hineingemischt, die sich vom Flanierenden mit Hilfe der vielfachen Pläne zu immer neuen Erzählungen und Wegen zusammenfügen lassen.

Im Hypertext hat diese Verschmelzung, Verwirrung, Überlagerung und Verknüpfung ein angemessenes Medium gefunden. Hier können die Erzähl- und Beobachtungsstrategien experimentell umgesetzt werden, die bereits die Expressionisten, Romanciers wie James Joyce und Alfred Döblin oder Philosophen wie Walter Benjamin beschäftigt haben.

Im Hypertext erzählt sich die Stadt als Labyrinth. Sie kennt keinen allwissenden Erzähler mehr. Sie gibt sich nicht als eine Einheit preis, über die der Leser als Ganzes verfügen kann. Sie zersplittert in viele eigenständige Fragmente, die je nach Erfahrung wieder zueinanderfinden - um wie im Kaleidoskop ein immer neues Bild zu ergeben.

II

HyperTextBerlin. Anläßlich der Softmoderne 1999 wurden Autorinnen und Autoren aufgefordert, einen Text zu entwerfen, der den Erzählstrategien des Hypertextes folgt - und das heißt: den Strategien von Verknotung und Verknüpfung von Textteilen und Bildern zu einem erzählerischen Stadtnetz, mit dem sich Berlin mit seinen Gegenwärtigkeiten, Vergangenheiten und Zukünften einfangen läßt.

Das erklärte Ziel war es, Ideen für einen Hypertext zu entwickeln, der programmiert werden könnte. Die Autorinnen und Autoren sollten einfach nur spinnen - spinnen, wie man ein Netz spinnen könnte, das ihrer Auffassung und ihrem Erleben von Stadt angemessen ist.

Dazu wurden den Autoren und Autorinnen Programmierer an die Seite gestellt, mit denen sie in stetiger Auseinandersetzung um das Wünschbare und das Machbare die Hypertexte realisieren sollten.

III

Mit HyperTextBerlin hat die Softmoderne keinen Wettbewerb veranstaltet! Es ging nicht um eine Konkurrenz der Autorinnen und Autoren, über deren Ergebnis eine Jury nach undurchsichtigen Kriterien zu entscheiden hatte. Deshalb werden hier keine Gewinner- und keine Verliererbeiträge vorgestellt, sondern nur Beiträge, die auf gleicher Ebene zu lesen und zu diskutieren sind.

Damit hat sich dieses Unternehmen von einem freien Wettbewerb unterschieden, wie ihn die ZEIT, IBM und ARD 1998 und zusammen mit der Softmoderne auch 1997 bundesweit veranstaltet haben. Ein solcher Wettbewerb, so hatte die Erfahrung gezeigt, hat zuviele Schwierigkeiten mit sich gebracht:

1. Da kein Thema vorgegeben wurde, mit dem sich die Autorinnen und Autoren beschäftigen sollten, waren die eingereichten Beiträge derart divergent, daß sie kaum miteinander verglichen und angemessen beurteilt werden konnten.

2. Da der Wettbewerb frei veranstaltet wurde, mußte man sich mit einer Unmenge von Beiträgen auseinandersetzen, die selten literarische Qualität erreichen konnten oder wollten und die aus diesem Grund die Möglichkeiten der elektronischen Literatur in der Öffentlichkeit (und beim ZEIT/IBM-Wettbewerb von 1997 auch in der Jury!) geradezu diskreditiert haben.

3. Autoren und Autorinnen, die ihre Werke bislang im Print-Bereich veröffentlicht hatten und dadurch bekannt geworden waren, waren - bis auf wenige Ausnahmen - nicht bereit, das mediale Terrain zu wechseln, um sich in freie Konkurrenz zu begeben. Hinzu kam, daß sie selbst oft genug nicht programmieren konnten und deshalb nicht in der Lage waren, ihre Ideen und literarischen Möglichkeiten angemessen umzusetzen.

Dem hat die Softmoderne entgegengesteuert, indem 1. das Thema der Texte eingeschränkt wurde; indem 2. kein freier Wettbewerb veranstaltet, sondern Aufträge vergeben wurden; und indem 3. Autorinnen und Autoren, die im Print-Bereich veröffentlicht hatten, ermutigt wurden, sich mit dem elektronischen Hypertext zu beschäftigen, indem sie nicht zum Programmieren gezwungen, sondern zum freien Assoziieren aufgefordert wurden.

IV

Die Ergebnisse des Projekts HyperTextBerlin wären ohne die großzügige Unterstützung durch das Podewil Berlin, durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung & Kultur, schließlich durch die Berliner Festspiel GmbH nicht möglich gewesen.

Wir danken darüber hinaus Tatjana Petersen, Ernst-Peter Schneck und Helge Borgmann für Ihre tatkräftige Unterstützung.

Vor allem aber danken wir den Autoren und Autorinnen und den Programmierern und Programmiererinnen, ohne die die Texte niemals das Licht des Bildschirms erblickt hätten.

 


Die Texte
 

Michael Rutschky   Berlinroman
Realisation: Claudia Klinger
Kathrin Röggla Nach Mitte
Realisation: Sylvia Egger
Peter Glaser Licht, Berlin
Realisation: Peter Glaser
Norman Ohler 246h
Images: Nina Brudermann | Realisation: TXT
Claudius Hagemeister Berlin
Realisation: Ekkart Kleinod (edge-soft)
Rainer Merkel
Jörg Paulus
David Wagner
Terezia Mora
Tanja Dückers
Maike Wetzel
Edda Helmke
Konversationseuphorie
Realisation: Martin Wieser