Als "Matthias" BAADER Holst im Juni 1990 mit einer Straßenbahn kollidierte, hatte er den passenden Kommentar längst geschrieben: "nur ein toter dichter ist ein guter produktionsarbeiter." Der einzelne als Opfer des modernen Verkehrs- und Gemeinwesens - das ist der Stoff, aus dem heutzutage noch Mythen gemacht werden, zuletzt mit großem Einsatz unter dem Namen Lady Di. Der frühe Tod, für den man selbst so wenig kann, läßt auch das Leben davor ein wenig tragischer erscheinen. Und Tragik hat gerade dem Image von Dichtern selten geschadet. Vor diesem Hintergrund folgt die Biographie von BAADER Holst einer einfachen Formel: Der Exzeß ist Fleisch geworden - mitten in der DDR. Dort nämlich wurde er 1962 geboren. Und dort, in Halle an der Saale, machte er auch ab 1984 mit Lesungen und Aktionen von sich reden. Dichter liebe er, so dichtete er, "weil sie saufen, ficken und kaputt sind." Demnach war BAADER Holst wohl ein großer Dichter. Die Stasi sah das anders. Sie klassifizierte seine Texte als "Schubladenliteratur", die "nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht." Folglich wurde die von BAADER Holst mitherausgegebene Zeitschrift 'Galeere' nach nur drei Ausgaben durch behördliches Verbot 1986 eingestellt. Ab 1988 schrieb und wirkte er in Berlin, letzteres gerne mit dem Schriftsteller Peter Wawerzinek. Der bezeichnete seine Texte einmal als "blutige Binden, die man sich abnimmt und der Welt vorwirft." So recht danken wollte ihm die Welt das aber nicht. Lediglich dem Berliner Maas-Verlag gebührt der Verdienst, das Werk von BAADER Holst vor dem Vergessen zu bewahren, zuletzt mit einer materialreichen CD-ROM unter dem Titel 'sinnwracks'. Daß Literatur auf der kleinen Silberscheibe sehr wohl ihren Platz finden kann, zeigt gerade der Fall BAADER Holst. Dessen überwiegend kurze Texte lassen sich von heute aus leicht als multimediale Hybridformen ausmachen. Mit dem bloß Buchstäblichen mochten sie sich jedenfalls nicht bescheiden. Statt dessen suchten sie immer wieder den Kontakt mit Grafiken und Aktionen oder tauchten als Bestandteile von Zeichnungen und Songs auf. Was kein Buch wiedergibt, vermittelt eine CD-ROM: Man kann BAADER Holst lesen, hören und sehen. Und dabei feststellen, daß all das wenig gemein hat mit jenem Event-Gestotter, das hierzulande unter dem Label 'Slam Poetry' um subkulturellen Lorbeer buhlt. Dazu sind seine Texte zu schwer unterwegs zwischen Poesie und Prosa, Gesprochenem und Geschriebenem. Und zu pointiert obszön: "ihre mösen waren sich schwänze ... ihre schwänze sich schwestern." Oder auch zu lapidar: "laß das mit dem menschsein lerne bäcker." BAADER Holst hat das eine nicht gelassen und das andere nicht gelernt. Und so ganz nebenbei gezeigt, daß sich DDR-Literatur nicht nur zwischen staatstragend und dissident abgespielt hat, sondern daß einem bisweilen beides im besten Sinne auch scheißegal sein konnte. Mit relativ geringen Systemanforderungen und unter Verzicht auf technische Extravaganzen gewährt 'sinnwracks' Einblicke in das genre- und gattungsübergreifende Treiben von BAADER Holst. Dabei finden sich zahlreiche zuvor publizierte Texte neben kaum mehr greifbaren Ton- und Bilddokumenten, Auszüge aus Stasi-Akten neben Briefen an DDR-Behörden. Die Navigation dazwischen ist einfach. Sie erfolgt über einen Index, der zwischen Audio, Video, Texten, Autor und Zeichnungen unterscheidet. Nach der für Literatur auf CD-ROM so obligatorischen Suchfunktion wird man allerdings vergeblich fahnden: Es gibt sie nicht. Womit endgültig klar sein dürfte, daß es dem Maas-Verlag kaum um multimedialen Budenzauber ging. Vielmehr hat er sich in Sachen Technologie offenbar ganz an seinen toten Dichter gehalten: "nicht für die zukunft für den ernstfall zeugen wir." - Und das Ergebnis nennt man dann wohl überzeugend. "Matthias" BAADER Holst: sinnwracks, Berlin: Maas-Verlag 1998. CD-ROM, Hybrid-Format für Windows und Mac/OS, DM 80,00. |
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